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Rauschen
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Wir schreiben das Jahr des Krieges
Das fünfte seit dem großen Beginn
Länder sind verheert
Häuser und Hoffnungen in Trümmer gelegt
Mägen und Kaliber beinahe leer
Und ich fürchte ernsthaft
Die Menschen haben sich um ihr Leben gebracht
Doch bleibt kurz bei mir
Und ich erzähle euch meine Geschichte
So lange mein Atem mich noch erzählen lässt
Bevor das Ende uns erreicht
Doch habt keine Angst
Der Anfang und das Ende
Wohnen seit jeher in uns
Hörst du das Rauschen
Es ist das Meer
Das große Wasser
Es ist ein widerspenstiges Wesen
Unermüdlich greifen seine unzähligen Hände nach festem Halt
Bohren sich seine Zähne in die altersschwache Küste
Und doch zerbersten die Wellen stets aufs Neue
Vom Festland entschieden zurückgewiesen
All das kann ich beobachten
Denn ich liege hier
Auf der Höhe einer Düne
Umgeben von Gras und von Nacht
Über mir der onyxfarbene Himmel
Von Diamanten besetzt
Unter mir der Sand eines fernen Landes
Der sich leise knirschend
Den Konturen meines Körpers anpasst
Sich anschmiegt
Wie eine willige Geliebte
Ist wohl meine letzte
In diesem Leben
Ein kaltes aber geschmeidiges Luder
Vor mir sehe ich
Die Weite
Die Versuchung
Die Rettung
Das Verderben
Ich höre das Rauschen
Und ich weiß, es sind nicht die Wellen
Es ist das Adrenalin
Ist die zügellose Angst
Es ist das Blut, das mich eilig verlässt
Es sind die Gedanken, gejagt von der Zeit
Es ist der Lärm, der vor der großen Stille tobt
Und es ist die Ruhe
Nach der letzten Schlacht
Jetzt liege ich also hier
Die Augen vor Entsetzen geweitet
Das Selbst granatenzersplittert
Und bin ahnungslos, ob es wirklich mein Blut ist,
Das nass mein Haar verklebt
Aber ich weiß, dass ich schwitze
Weil ich so furchtbar friere
Bin ein einziges Zittern
Und über allem regiert dieses Rauschen
Wie hatte es soweit kommen können?
Noch vor kurzem war ich ein gewöhnlicher Mann,
Der das Meer nur von Bildern kannte
In das Leben wurde ich geworfen, um es zu lieben
Oder von ihm verachtet zu werden
Der Enge der Mietkaserne
Dem saufenden Vater, der rackernden Mutter
Und den acht Geschwistern entkommen
Bezog ich in den Häuserschluchten der Stadt mein Revier
Durchstreifte es
Wie ein gewöhnlicher, räudiger Köter
Mit Schwielen an den Händen und mickrigem Lohn verließ ich die Fabrik
Und mit dem Geschmack von Tabak und Rosinen auf meiner Zunge
Mit Staub und Pomade im Haar
Mit einem als Lachen getarnten Zähnefletschen
Begrüßte ich die Welt
Abends legte ich meinen Kopf in den Schoß meiner Braut
Oder auf das Eichenholz des nächstbesten Tresens
Bei Gott, heute weiß ich,
Ich war ein glücklicher Mann
Und dann kam die Zeit, da sich die Straßen mit Menschen füllten
Parolen erklangen aus heiseren Kehlen
Männer standen sich unerbittlich vor den grauen Fassaden gegenüber
Zahlreiche Fäuste beherrschten nun die Klaviatur des Mundes
Man wollte sich wohlfeil die Fresse polieren
Auch mein arbeitsmüdes Gesicht glühte vor Erregung
Ich war ganz ein Kind meiner Zeit
Bezog eine Seite
Fand neue Freunde
Und ein hehres Ziel,
Für das es sich lohnte zu leben
Und das größer war
Als alle Freuden des Alltags
Lustvoller als die wohlige Nacht mit der Braut
Erfrischender als das Bier am Abend
Reicher als die wenigen Moneten
Und größer als Gott
Doch der hatte mich da schon verlassen
Nur wusste ich das noch nicht
Sie versicherten mir mit ernster Miene
Das Vaterland brauche mich
Wie niemand sonst auf der Welt
Und ich wollte es so gern glauben
Aus dem räudigen Köter
Wird die Zukunft einen Held machen
So nahm mich mein Schicksal bei der Hand
Und führte mich brav
An die Front
Die Welt hatte hier keine Fugen
Selbst umkämpfte Grenzen verschwammen
Wir hockten in Hütten und Gräben
Kratzten Reste von Tellern aus Blech
Und verloren langsam den Verstand
Während die Angst sich ein Nest in unseren Herzen baute
Ja, der Himmel stand so oft in Flammen
Dass ich mich in der Hölle wähnte
Wie passend erschien es
Dass der Tod uns vielmals besuchte
Fritze, Alwin und auch den Hermann
Begruben wir
Wie erschlagene Katzen im fremden Sand
Wir waren alles
Doch niemand ein Held
Und jetzt krepiere ich langsam
In dem großen Rauschen
Doch kann ich es noch deutlich sehen
Das Dorf am Horizont
Dort, wo eben noch das Meer tobte
Es war nur noch schwelende Knochen und Holz
Denn wir haben getan, was zu tun war
„Angriff“ lautete unsere Order
Und schon bald der Befehl „Rückzug“
Da tauchte er auf aus Ruinen
Junger Bursche, leichenblass
Das Haar rotblond wie ein Feuer
Grüne Augen,
Der Mund schmal wie ein Nuttenstrich
Gehörte er zu uns
War er ein Feind
Ich gestehe,
Ich vermochte es nicht zu sagen
Inmitten der Ruinen
Am Ende der Welt und gottverlassen
Grinst er mich an
Dieses Lachen
Nicht mehr als
Ein Zähnefletschen
Und ich schieße ihm fest in die Visage
Nun liege ich hier
Bin nichts als eine Lache
Denn das Leben fließt aus mir heraus
Und der Schmerz durchrast mich wie ein Zug
Tausend Farben blitzen auf und doch ist nur dunkle Nacht
Aber die Bilder vor meinen Augen,
Sie lindern ein wenig meine Qualen
Ich sehe sie
Alle
Meine Braut lockt mich lächelnd zu sich
Kaltes Bier wartet schäumend
Meine Mutter kocht mir heiße Stippe
Sei ein Held
Rufen sie mir zu
Während Fahnen über uns wehen
Aber ich weiß, es ist zu spät
Die Brut der Angst ist geschlüpft
Ich bin kein Soldat mehr und auch kein Mann
Ich höre mich,
Wie ich weine
Schreie
Rufe
Und ich lache,
Fletsche meine Zähne
Doch
Sie beißen nur noch auf Sand
Ich weiß jetzt, es war
Eine Invasion
Der Lügen
Und der Himmel
Steht in Flammen
Seht ihr nicht
Ich fletsche noch einmal die Zähne
Während diese Welt
Während ein räudiger Hund zerbricht
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Christopher Colossus Berlin, Germany
Drone metal noise rock congregation from Berlin.
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One guitar, a handful of old amps and their player Chris.
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